01.06.2012

Zurück nach Istanbul

Nach drei Wochen in Istanbul freuten wir uns sehr wieder weiterzuradeln. Wir entschieden uns mit einer Fähre nach Yalova über das Marmarameer überzusetzen, da wir nicht wieder wie bei der Einfahrt einen langen Tag durch die Metropole radeln wollten. Holprig begann unser Start, zunächst verpassten wir erstmal die Fähre, da wir knapp dran waren und diese auch einfach mal fünf Minuten früher ablegte. Als dann die nächste Fähre kam, hatten wir unseren ersten Platten, das Hinterrad stand komplett ohne Luft da und wurde nun in jämmerlichem Zustand einfach auf die Fähre gezerrt, sonst hätten wir diese ebenfalls verpasst.
Ab Yalova war wieder Natur angesagt, endlich wieder Ruhe, Vogelgezwitscher, Bäche und die Bäume nun komplett in frischem frühlingshaften Grün, die Temperaturen dazu hochsommerlich. Bei knapp vierzig Grad auf den Straßen hatten wir ganz schön zu schwitzen, zumal es wie geahnt ordentlich auf und ab ging. Kaum hatten wir uns auf eine Anhöhe gekämpft ging es sogleich wieder hinab um gegenüber schon den nächsten Anstieg zu sehen. Wie sollte das noch werden, wo es gerade erst Anfang Mai war?
Doch schon nach drei warmen Tagen sollte die Abkühlung kommen mit zwei großen Gewittern war die Wärme vorbei, wir inzwischen mit knapp 1000 m Höhe etwas höher am strampeln. Seither radeln wir in einem bunten Mix aus Sonne und doch häufigen längeren Schauern.
Überall werden wir sehr nett aufgenommen, die Türken die meist in aller Ruhe am Straßenrand dem Verkehr und dem Leben auf der Straße folgen sind sehr interessiert an unserem großen Rad. Ständig werden wir zu Cay, dem türkischen Tee eingeladen. Das Nationalgetränk gibt es immer und überall, rund um die Uhr in kleinen bauchigen Gläsern und wenn wir jeden Cay trinken würden der uns angeboten wird, würden wir wohl gar nicht zum Radeln kommen.
Wenn sich ein Radeltag zu Ende neigt, beginnt immer wieder aufs Neue die Suche nach einem Lagerplatz. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten entweder wild zelten, bei Leuten schlafen oder gelegentlich eine Unterkunft. Die letzte Möglichkeit meiden wir in der Regel, da diese in unserem Budget meist sehr zu wünschen übrig lassen. Die erstere Möglichkeit ist in der Türkei gar nicht so einfach wahrzunehmen, denn die unglaublich gastfreundlichen Türken freuen sich uns einzuladen, was sehr schön ist, doch nach einem langen Radeltag zum Teil anstrengend sein kann. Ab dem Moment der Einladung bis zum Schlafen gibt es dann wenig Freiraum. Zunächst wird diskutiert warum wir eigentlich unterwegs sind, warum mit dem Rad und dazu noch mit einem für zwei Personen, ob wir verheiratet sind. Ja, das sind wir fiktiv seit vergangenem Jahr, denn sonst würde es die Familie wohl nicht tolerieren, dass wir in einem gemeinsamen Raum schlafen. Bei einer wohl sehr frommen Familie bekam Line direkt nachdem Duschen erstmal angemessene Kleidung angezogen, mit Kopftuch und den ganzen Körper verhüllender weiter Kleidung war sie dann konform. Dann wird im Sitzen von einer gemeinsamen Tafel gegessen. Meist essen wir als Gäste und die Männer des Hauses zuerst, während uns die Frauen bedienen, daneben sitzen oder sich nach dem Servieren in einem anderen Raum aufhalten und dann nach uns essen. Dieses getrennte Essen ist für uns sehr ungewohnt und so fühlen wir uns meist nicht so wohl in dieser Situation, wissend, dass die Frauen wegen uns erst später essen. Auf den weiteren Weg bekommen wir dann noch die Packtaschen ordentlich mit Proviant vollgestopft, so dass wir sicher nicht hungern müssen.
So haben wir seit Istanbul beim Militär genächtigt, bei mehreren Bauernfamilien, an einer Tankstelle, wo uns der Tankstellenwart gleich noch ein Yakuzi-Bad im nahen Hamam ermöglicht hat, einem türkischen Radler, der uns unbedingt beherbergen wollte und Mittag bei einem entlegenen Polizeiposten gemacht haben, obwohl wir gar kein Brot hatten. Irgendwie hatten wir in den Dörfern durch die wir geradelt waren kein Brot bekommen und standen sehr hungrig vor einem 700 Meteranstieg, was tun? Die netten Polizisten informierten einfach schnell den nächsten Bus der kurz darauf durch ihre Kontrolle fahren würde und bat den Bus uns Brot mitzubringen. Keine Viertelstunde später hatten wir Brot, alle Beteiligten freuten sich und lehnten das Begleichen unserer Brotschuld vehement ab.
Aufgrund des wenigen Freiraumes einer Einladung genießen wir das Zelten umso mehr. Die Gewässer sind leider häufig verschmutzt, so dass wir uns an gefassten Quellen die es zuhauf am Wegesrand gibt, alle Flaschen und unseren Wassersack auffüllen, was dann für eine knappe Katzenwäsche, Kochen und Trinken bis zum nächsten Morgen reicht. Seit gut einer Woche weisen uns Kuhhirten und jede Menge anderer Leute darauf hin, dass es in dieser Region Wölfe gibt, die uns nachts gefährlich werden könnten. Wir sind etwas verunsichert, wie wir mit diesen Warnungen umgehen sollen und verpacken nun nachts das Essen. Bisher ist jedoch das wilde Zelten gutgegangen und der einzige Besucher im Zelt war bisher eine Maus.
Seit Kappadokien begleitet uns Alex, ein guter Schulfreund von Thomas. Zu Beginn verbringen wir schöne gemeinsame Tage in Göreme und sind fasziniert von der Höhlenlandschaft mit ihren beeindruckenden Felsformationen. Dann geht es mit den Rädern durch Anatolien, geplant waren eigentlich zwei gemeinsame Wochen, doch leider wurde daraus nur eine gute Woche in der tollen Weite mit den faszinierenden Lichtwechseln bei heiterem Wetter mit immer wiederkehrenden Schauern, denn aktuell haben wir wohl eine unglücklichere Phase. Zunächst ging unser Benzinkocher kaputt und so haben wir lange an diesem herumzuspielen, bis dieser dann doch noch irgendwie halbwegs stabil brennt um zu kochen. Gestern geschah dann das Unfassbare. In einem Anstieg bemerken wir plötzlich ein unangenehmes Knacken. Plötzlich ist das ganze Tandem weich wie Butter und alles füllt sich ganz komisch an. Wir halten und entdecken einen Rahmenbruch an unserem geliebten Tandem, welches uns seit vier Jahren treu die tollsten Strecken ermöglichte. Unfassbar sitzen wir da, können es nicht glauben und sind sogleich erstmal machtlos. Platten oder gebrochene Speichen können wir ohne weiteres flicken, doch einen gebrochenen Tandemrahmen schweißen ist für uns selbst unmöglich.
In der Türkei gibt es immer eine Lösung und so nehmen uns drei erstmal zwei Elektriker auf ihrem Pickup samt der ganzen Ausrüstung und den zwei Rädern mit zurück in die nächste Stadt und dort sogleich zu anderen Handwerkern die am liebsten sofort unseren Rahmen wieder zusammenschweißen würden. Mit Müh und Not können wir Ihnen erklären, dass wir zuerst mit der Firma Pedalpower in Berlin telefonieren möchten um abzuklären, wie wir vorgehen sollen. Wahrscheinlich ist unser Anhänger die Ursache für den Rahmenbruch an einem der Ausfallenden. Da der Rahmen wohl hartgelötet werden muss und wir den sehr netten aber doch immer allwissenden Türken hier im freien Felde das Schweißen nicht überlassen möchten, sitzen wir nun unglaublicherweise Blogbericht schreibend in einem Bus nach Istanbul.
Was für chaotische Tage, zur Zeit ändern sich die Pläne fast stündlich…kaum in Istanbul angekommen entscheiden wir uns dafür, dass Thomas mit dem Rahmen nach Deutschland fliegt, damit Pedalpower die Reparaturen selbst vornehmen kann samt zusätzlicher Verstärkungen, damit das Tandem die Weiterfahrt mit dem Hänger gut übersteht. Der Flug ist nicht teurer als das Schicken und zudem hoffentlich schneller, denn die festgelegten Zeiträume für die Visa der kommenden Länder geben uns einen gewissen Zeitrahmen vor. Nach einer fast schlaflosen Nacht im Bus bauen wir unser Rad, die Fram, auseinander und bald steht der nackte Rahmen vor uns, wir können es gar nicht glauben. Noch in der Nacht machen sich Alex und Thomas auf zum Flughafen und Line bleibt für eine knappe Woche in Istanbul.